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Brief vom 30.11.1823 an Schober, Franz von (1796-1882)
HIN 104188

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Signatur: HIN 104188
Datum: 30.11.1823
Empfänger: Schober, Franz von (1796-1882)
Brieftext:

Wien den 30. Nov. 1823

Lieber Schober!

Mich drängt es schon einige Zeit, Dir zu schreiben, aber immer konnt' ich nicht dazu kommen. Du weist schon wie das geht.

Vor allem muß ich Dir ein Lamento über den Zustand unserer Gesellschaft wie über alle übrigen Verhältnisse ankündigen; denn außer meinen Gesundheitsumständen, die sich (Gott sey Dank) nun endlich ganz fest zu stellen scheinen, geht alles miserabl. Unsere Gesellschaft hat durch dich, wie ich es wohl voraussah, seinen Anhaltspunkt verloren. Bruchmann, von seiner Reise zurückgekommen, ist nicht mehr der, der er war. Er scheint sich in die Formen der Welt zu schmiegen, u. schon dadurch verliert er seinen Nimbus, der meines Erachtens nur in diesem beharrlichen Hintanhalten aller Welt-geschäfte bestand. Kupelwieser ist, wie du vermuthlich schon weißt, nach Rom (ist aber mit seinem Russen nicht sonderlich zufrieden). Was an den übrigen ist, weißt Du besser als ich. Als Ersatz für Dich u. Kupelwieser bekamen wir zwar 4 Individuen, nähmlich: Den ungarischen Mayr, dann Hönig, Smetana u. Steiger, doch die Mehrzahl solcher Individuen machen die Gesellschaft nur unbedeutender statt tüchtiger. Was soll uns eine Reihe von ganz gewöhnlichen Studenten u. Beamten? Ist nun Bruchmann nicht da, oder vollends krank, so hört man Stundenlang unter der obersten Leitung des Mohns nichts anders als ewig von Reiten u. Fechten, von Pferden u. Hunden reden. Wenn es so fortgeht, so werd ichs vermuthlich nicht lange unter ihnen aushalten. –

Mit meinen 2 Opern steht es ebenfalls sehr schlecht. Kupelwieser ist vom Theater plötz­lich weggegangen. Weber's Euryanthe fiel schlecht aus u. wurde nach meiner Meinung mit Recht nicht gut aufgenommen. Diese Umstände u. eine neue Trennung zwischen Palfy u. Barbaja lassen mich beynahe nichts für meine Oper hoffen. Übrigens wäre es auch wirklich kein Glück, indem jetzt alles unbeschreiblich schlecht gegeben wird. ­Vogl ist hier, u. hat einmahl bey Bruchmann u. einmahl bey Witzeck gesungen. Er be­schäftigt sich fast ausschließend mit meinen Liedern. Schreibt sich selber die Sing­stimmen heraus u. lebt so zu sagen, davon. Er ist daher gegen mich äußerst manierlich u. folgsam. Und nun laß von Dir was hören. Wie geht es Dir? Bist Du schon vor der Welt Augen erschienen?

Ich bitte Dich, laß ja recht bald von Dir mich was erfahren, u. fülle die Sehnsucht nach Dir nur einiger maßen aus, indem Du mir schreibst, wie Du lebst u. webst. – Ich habe seit der Oper nichts componirt, als ein paar Müllerlieder. Die Müllerlieder werden in 4 Heften erscheinen, mit Vignetten von Schwind. –

Übrigens hoffe ich meine Gesundheit wieder zu erringen, und dieses wiedergefundene Gut wird mich so manches Leiden vergessen machen, nur Dich, lieber Schober, Dich werd ich nie vergessen, denn was Du mir warst, kann mir leider niemand anderer seyn .

Und nun lebe recht wohl, und vergesse nicht

Deines Dich ewig liebenden

Freundes
Franz Schubert

Meine Adresse:
Stubenthor-Bastey.
Nr. 1187 im
ersten Stock.


Kommentar:
Sammlung: Wienbibliothek im Rathaus


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